Es gibt Momente, in denen man sich nicht unbedingt vornimmt, über bestimmte Dinge nachzudenken. Und doch kommen die Gedanken. Sie kündigen sich nicht an, sie kommen von ganz allein. Es war irgendwann im Sommer, als ich ungeplant bei meinen Eltern auf dem Land vor der Tür stand. Allerdings war bei diesem Überraschungsbesuch erstmal niemand zu Hause. Ich hätte mich ungestört auf die bequeme Couch oder vor den mitgebrachten Laptop setzen können. Früher war Fernsehen eh das Größte, wenn die Eltern nicht zu Hause waren. Neben „Lichtschalterkriegen“ und „Papa beobachten“ natürlich. Aber nach TV oder PC war mir in diesem Moment nicht, dafür hätte ich auch in meiner Bude bleiben können. Also machte ich etwas, was wir in Kindertagen sehr oft gemacht hatten. Ohne große Erwartungshaltung holte ich ein Fahrrad aus der Garage und fuhr los. „Mit dem Fahrrad durch’s Dorf“ hatten wir das früher genannt. Einfaches Prinzip: Losfahren, ohne ein Ziel zu haben. Man guckt nach rechts und links und denkt dabei ganz automatisch über irgendetwas nach. Es war nicht mal ein besonders schöner Tag, aber irgendwie gefiel mir das platte Land. Norddeutschland – hm naja, eigentlich sollte es nettere Plätze auf der Erde geben. Oder?
Ich fuhr zügig und lange, was daran gelegen haben könnte, dass ich auf einem E-Bike saß. Nicht, dass das wichtig wäre, aber vielleicht trug es zur allgemeinen Leichtigkeit bei. Im nächsten Ort stellte ich mir die Frage, warum ein junger Mensch häufig in einer kleinen, chaotischen WG in der Stadt höhlt, während die Eltern gepflegt auf dem Land wohnen. Und warum er später vielleicht auch aufs Land zieht. Die Antwort ist kein Hexenwerk. Natürlich hat das alles etwas mit den verschiedenen Abschnitten zu tun, die man durchlebt. Trotzdem ging ich gedanklich einfach mal ein paar Aspekte durch. Als Mittzwanziger habe ich in einer größeren Stadt logischerweise viel mehr Möglichkeiten, vor allem abends. Nochmal schnell zum Kiosk an der Ecke oder in die nächste Bar. Alles ist spontaner und schnelllebiger. Ich kann mich besser treiben lassen, um mich herum ist einfach ordentlich was los. Letztens wurde ich morgens um 05:07 Uhr von der Polizei aus dem Bett geklingelt, weil ich eine Einfahrt zugeparkt hatte. „Jetzt kommt es drauf an, wer schneller ist – Sie oder der Abschlepper?“ hatte mich der Polizist durch die Gegensprechanlage gefragt. Der anschließende Vollsprint zu meinem Auto war in der Situation zwar nervig und wäre auf dem Land wohl niemals nötig gewesen, aber rückwirkend war die Situation und das Gespräch mit dem genervten Opa, den ich zugeparkt hatte, ziemlich witzig. Auch wenn das Einfahrt-Zuparken an sich jetzt vielleicht nicht unbedingt ein Pro-Stadt-Punkt ist.
Ich befinde mich gerade genau in der Lebensphase, die es mir erlaubt, entspannt mit der Zeit zu gehen. Und man weiß ja: „Wer nicht mit der Zeit geht, der muss mit der Zeit gehen.“ Okay toller Spruch, aber im Prinzip ist das alles gar nicht so sehr an ein bestimmtes Alter gebunden. Mitschwimmen kann man immer. Dennoch fällt es einem Studenten sicher leichter als einem Rentner. Was will man schon in meinem Alter auf dem Land? Für jegliche Unternehmungen würde ich eh wieder in die Stadt fahren. Da spreche ich sogar aus Erfahrung. Bis vor einem halben Jahr wohnte ich in einer 27.000-Einwohner-Stadt, die nur 15 Minuten von meinem Elternhaus entfernt liegt. Der Begriff „Stadt“ ist zwar korrekt – „großes Dorf“ würde aber besser passen. Dort wohnte ich zufriedene dreieinhalb Jahre, obwohl mir auf den Straßen nur ältere Leute und Kinder begegneten. Gleichaltrige traf ich so gut wie gar nicht. Irgendwann stellte ich mir die Frage, ob es das nun gewesen sein soll. Geographisch meinte ich. Beruflich lief alles gut. Und den Arbeitsweg gemütlich mit dem Hollandrad zu fahren, hatte schon Gesicht. Aber in meiner Work-Life-Balance war eigentlich Platz für weitere 30 Minuten Fahrtzeit, wenn ich dafür mehr Lebensqualität bekäme. Doch wie das so ist mit den Sätzen, in denen das Wort „eigentlich“ vorkommt, war ich aus meinem Trott nicht so leicht herauszuholen. Wäre ein guter Kumpel nicht gewesen, würde ich vielleicht immer noch im großen Dorf leben. Vielleicht immer noch zufrieden. Aber vielleicht hätte der letzte Sommer dann auch nicht so viel Spaß gemacht. Gewiss nicht.
Die, die mich kennen, merken mir bestimmt an, dass ich mich gerade pudelwohl in der Stadt fühle. Ich weiß aber auch, dass das wieder nur ein Abschnitt sein wird. Während der Fahrradtour über die Feldwege ist mir nämlich aufgefallen, dass das Ländliche auch ziemlich attraktiv sein kann. So ein Altbau in einer netten Straße, rustikal, mit viel Holz. Am besten mit netten Nachbarn und vielleicht einem Hund, der frei herumläuft. Als älterer Mensch weiß man die Ruhe dann vielleicht mehr zu schätzen. Ohnehin ist mir zuletzt öfter bewusst geworden, dass sich die Dinge mit den Jahren verändern. Und ganz davon abgesehen kann man nie wissen, wie das Leben so spielt. Denn sollte es die eine Veränderung geben, verändert sich sowieso alles. Ich kann mir einen Alltag mit einer Familie auf dem Land nämlich viel, viel besser vorstellen als in der Stadt. Und das beantwortet dann auch endgültig die Frage, warum die Reihenfolge häufig die gleiche ist. Erst Stadt, dann Land. Weil man als jemand, der selbst vom Land kommt, zu schätzen weiß, wie gut es ist, dort aufzuwachsen. Und diese Möglichkeit würde man vielleicht gern weitergeben. Ich zumindest. Erst Land, dann Stadt, dann wieder Land. So ist es – in meinen Augen – gut. Die zentrale Frage, die sich jeder selbst beantworten muss, lautet aber: Wo will ich wirklich hin? Und vor allem: Wann?
Dennis wie ich ihn kenne.
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Stadt, Land, Stadt!
Gut philosophiert über den ‚Circle of Life‘! Den muss man aber zu Ende denken und kommt dann vielleicht zu dem Schluss, dass der spätere (letzte?) Lebensabschnitt aber doch besser in der Stadt verbracht werden sollte, wo Vieles noch füßläufig zu erreichen ist, sofern die Füße einen noch tragen. Ein Auto braucht man nicht, allenfalls einen Elektro-Rollstuhl (‚elektro‘ ist doch ohnehin in oder?) – immer noch besser als ‚eingesperrt‘ in seinem Haus auf dem Lande. Für einen wie mich heißt’s deshalb bald: ‚Auf in die Stadt‘! Wer kommt mit??
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Ah, sehr gut. Meine Überschrift hat diesen Gedanken fast provoziert. Daher auch das Fragezeichen hinter dem Wort „Schluss?“. Denn nicht jeder bleibt auf dem Land. Vielleicht sogar der nicht, der dort ursprünglich immer bleiben wollte. Irgendwann ist’s in der Stadt wohl einfach praktischer. Eine Kleinstadt wäre evtl. ein Kompromiss. Unterm Strich gibt es ihn aber wohl nicht – den perfekten Weg. Und das ist gut so, sonst würden ihn alle gehen.
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