Vier Mann – vier Ecken

„Ja? (…) Okay (…) Hmm (…) Wa? (…) Ok (…) Weberstraße? Och nö, warum immer wir? Wo sind’n die anderen Wagen?“

Hannes saß schläfrig auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens und hielt sich das Handy ans Ohr. Brav hörte er sich an, was ihm die Wache mitzuteilen hatte. Dabei verdrehte er gespielt die Augen und tat, als würde er mit offenem Mund einschlafen. Natürlich nur, um seinen Kollegen zum Lachen zu bringen. Schon als er den Klingelton gehört hatte und seine Gedanken an die letzte Folge Der Tatortreiniger abrupt unterbrochen wurden, ahnte er, dass es kompliziert werden könnte. Das war oft so, wenn anstelle des Funkkanals das Telefon gewählt wurde. Naja, vielleicht würde es ja ansatzweise so humorvoll wie bei Tatortreiniger Schotty werden, der von Schauspieler Bjarne Mädel so herrlich verkörpert wird. Hannes kannte alle Folgen. Viele hatte er sogar doppelt gesehen. Manchmal bekam er den Standardspruch nicht aus dem Kopf: „Ich bin Tatortreiniger. Meine Arbeit fängt da an, wo sich andere vor Entsetzen übergeben.“  Schön mit Hamburger Dialekt, nä? Joa. 

Noch mit dem Handy am Ohr deutete er seinem Kollegen per Fingerzeig die Richtung, in die es jetzt wohl gehen würde. Die Weberstraße war nicht beliebt. Und die Straßen drumherum auch nicht. Es war ein Problemviertel, in dem viele finanziell schwache Menschen auf engem Raum zusammenlebten. Mit Blick auf die Uhr sah Hannes seinen pünktlichen Feierabend gefährdet. Aber so war es nun mal. Sich davon aus der Ruhe bringen zu lassen, hatte er sich vor einiger Zeit abgewöhnt. Zeit ist nur das, was man von der Uhr abliest. Sowieso brachte er eine gewisse Leichtigkeit mit, die ihm oft da weiterhalf, wo sich viele Kollegen stressen ließen. „Beschwert Euch nicht, ihr seid schon schwer genug“, sagte er manchmal. Die meisten fanden das nicht so witzig. Er total.

Auf der Fahrt zur Einsatzadresse gab er seinem Kollegen ein paar Stichworte zur Lage. Weberstraße 34 – vermutlich ältere Person hilflos in Wohnung – Rettungsdienst vor Ort – Tür verschlossen – Person reagiert auf Zuruf – Tür kann scheinbar von innen nicht geöffnet werden. Okay, das ging ja noch, dachte Hannes. Nicht die ernstzunehmende Lage dieser hilfebedürftigen Person, eher der Einsatz an sich. Wenn er hier noch jemandem helfen könnte, würde das einer der wenigen guten Einsätze in dieser Straße werden. Der Rettungswagen stand vorne an der Straße. Natürlich handelte es sich um einen dieser Blocks und natürlich war es eine Wohnung in der obersten Etage. Wie immer. Dort angekommen, sprudelte einer der Rettungssanitäter sofort los. Er sah merkwürdig aus. Wie ein Frosch. Hannes ließ sich nichts anmerken. Er hörte ihm zu, stellte sich aber vor, der Sani würde mit dicken Backen und einem roten Erste-Hilfe-Kreuz auf dem Rücken in einem Teich von Blatt zu Blatt springen. „Oder was meint ihr?“, fragte der Sani schließlich. „Äh was? Ja logo, geht ja gar nicht anders. Müssen wir ja aufmachen.“, antwortete Hannes überzeugt. Aus der Wohnung war eine weibliche Stimme zu hören, die um Hilfe rief. Sie klang bestimmt, aber nicht panisch. Hannes deutete an, was er im Sinn hatte und ging ein paar Schritte zurück. Während er dann auf die Tür zustürmte, fragte er sich, wie albern es aussehen würde, wenn die Tür durch seinen Tritt nicht auffliegen würde. Zum Glück tat sie es. Mit einem selbstgefälligen Blick sah er sich die marode Zarge an, die vermutlich auch ein Siebenjähriger hätte zertreten können. Einen lobenden Blick der Sani’s wollte er eigentlich noch abgreifen, doch die waren sofort ins Wohnzimmer geeilt.

Hannes’ Arbeit war erstmal getan. Dachte er. Er beantwortete innerlich gerade die Frage, warum es in den Wohnungen der alten Leute oft ähnlich riecht, als sein Kollege ihn in rief. „Verdacht auf Schlaganfall“, lautete die erste Diagnose. Die übergewichtige Frau konnte vieles verstehen, aber ein herabhängender Mundwinkel machte ihr das Antworten fast unmöglich. Einer der Sani’s zeigte auf eine Trage, die nun wohl zum Einsatz kommen würde. Hannes ergriff das Wort: „Joa. Vier Mann, vier Ecken oa wa?“ Es machte ihm Spaß, diesen Tatortreiniger-Slang in den Einsatz einzubinden, ohne seine Arbeit dabei zu vernachlässigen. Auf dem Weg nach unten verfluchte er schweißgebadet ein weiteres Mal die Tatsache, dass sich diese Einsätze immer im Obergeschoss abspielen.

„Anke“, nuschelte die Dame auf der Trage, als sie unten am Rettungswagen angelangt waren.

„Hannes – angenehm.“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Anke“, sagte sie ein weiteres Mal.

„Ich bin Hannes“, rief er ihr mit möglichst höflichem Blick ziemlich deutlich ins Ohr.

Der Sani begann zu lachen: „Ich glaube, die Dame wollte sich bloß bei Ihnen bedanken.“

„Achso, ja. Klar, kein Problem. Meine Arbeit fängt da an, wo… na wo andere nicht weiter wissen halt. Is’ ja auch egal. Gute Besserung, wünsch’ ich.“

In der Hoffnung, doch noch pünktlich Feierabend machen zu können, eilte Hannes zurück in die Wohnung. Dort musste er feststellen, dass der bucklige Schlosser, den sein Kollege in der Zwischenzeit angefordert hatte, große Probleme damit hatte, den Schaden an der Tür zu beheben. Als er sich aufrichtete, fiel ihm eine Taschenuhr herunter.

„Halt, die dürfen Sie nicht wieder aufheben.“, sagte Hannes extra streng und freute sich schon innerlich.

„Ist die polizeilich beschlagnahmt oder wie?“, fragte der Schlosser mit hochgezogener Augenbraue.

„Nee, aber Sie haben bestimmt nicht das U(h)rheberrecht oder?“

Hannes grinste. Der Schlosser nicht. Hannes dann auch nicht mehr. Egal, einen Versuch war es wert. Mit seinem Kollegen setzte er sich ins Wohnzimmer. Die Wohnung durfte nicht unverschlossen zurückgelassen werden, was eine längere Wartezeit zur Folge hatte. Hannes erwischte sich dabei, wie er den Fernseher einschaltete, um Familien im Brennpunkt zu gucken. Er schaute bewusst konzentriert auf den Fernseher, um seinem Kollegen vielleicht ein Lächeln aufgrund der lustigen Gesamtsituation abzuringen. Doch der war eingeschlafen. Vormittags um 11:30 Uhr, in einer wildfremden Wohnung. Plötzlich klingelte es. Hannes ging zur Wohnungstür. Dort hielt ihm der Schlosser den Hörer den Gegensprechanlage entgegen.

„Ja?“

„Wir sind die Zeugen Jehovas. Haben Sie Ängste und Sorgen? Können wir uns kurz unterhalten?“

„Waa? Nee, können wir nicht. Tut mir jetzt Leid für Sie. Is’ wie ne Tür – müssen Sie durch. Schüß.“

2 Kommentare zu „Vier Mann – vier Ecken

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  1. Gibt einen tiefen Einblick in den Polizeialltag mit teils witzigen, teils weniger witzigen Situationen. Aber schön, wenn man sich selbst mal auf den Arm nehmen kann! Schade nur, dass am Ende die Tatortreiniger nicht noch persönlich auftauchen, denn gern hätte man noch weitere ’niveauvolle‘ Sprüche von ihnen gehört! Oder vielleicht besser nicht….

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  2. Man sagt ja manchmal, der verlorene aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat. So gesehen, haste dafür gesorgt, dass mein Tag nicht verloren ist.

    Den Hannes kannste gern‘ ab und an mal bringen. Hannes mag ich. Natürlich hat das schon was mit seiner Vorliebe zum Tatortreiniger zu tun.

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