Nur mal kurz Hallo sagen

Mir ist etwas aufgefallen. Und darum ist es wohl mal wieder Zeit für ein klassisches „Returnbrett“. Falls sich bislang jemand gefragt hat, was es mit diesem Begriff eigentlich auf sich hat: Ein Returnbrett ist eine Trainingshilfe beim Tischtennis. Ein 50×30 cm großes Brett, das im richtigen Winkel auf die gegenüberliegende Tischhälfte gestellt werden kann. Wird dieses Brett mit passender Geschwindigkeit und Rotation angespielt, kommt der Ball zurück. Realistische Spielsituationen lassen sich damit nicht skizzieren, es ist aber auch eher zum Lernen gedacht. Ich jedenfalls finde die Symbolik interessant – ganz unabhängig vom Sport. Soll heißen: In dem Moment, in dem wir morgens aus dem Haus gehen, werden uns unzählige Returnbretter bereitgestellt. Jede unserer Handlungen ist wie ein Topspin gegen eines der Bretter. Der Alltag spielt uns den Ball also in jeder Situation wieder zurück. Die Frage ist bloß, wie wir mit diesem Ball nun umgehen. Ein Ballwechsel kommt erst dann zustande, wenn wir bereit sind, das Spiel mitzuspielen. Dafür müssen wir den herannahenden Ball aber erstmal bemerken. Es geht zuerst um die Wahrnehmung und dann um die Verarbeitung dessen, was sich tagtäglich vor unseren Augen abspielt. Wenn wir das tun, wenn wir also hinsehen und reflektieren, dann kann man über das, was in unserer Welt passiert, oft nur lachen. Dann zeigt uns der Alltag all seine skurrilen Macken und Angewohnheiten.

Heutiges Beispiel: Die Begrüßung!

Die Begrüßung stellt uns offensichtlich jeden Tag vor neue Herausforderungen. Wie schön wäre es, wenn es bloß bei einem einfachen Hallo bliebe. Nehmen wir einen Mann und nennen ihn Kalle. Normaler Typ, Beamter, nicht übermäßig selbstbewusst, aber auch nicht total schüchtern. Kalle ist zu einem Geburtstag eingeladen und leider etwas spät dran. Er betritt einen Raum voller Menschen und schon beginnt das Dilemma. Er weiß nicht, ob er alle oder keinen begrüßen soll. Wie haben das die Anderen wohl gemacht? Sind sie aus übertriebener Höflichkeit füreinander aufgestanden? Ist Kalle unhöflich, wenn er keinem die Hand gibt oder aufdringlich, wenn er jeden persönlich begrüßt? So’n Mittelding scheint auch irgendwie unangebracht zu sein. Ein kaum hörbares „N’Abend!“ verliert sich im Raum und ein Klopfen auf den Wohnzimmertisch mit den Worten „Ich mach‘ einfach mal so!“ findet er viel zu spießer-behördenmäßig. Hier will er mal lockerer sein als im Büro. Er nimmt sich vor, nur Andi, den Gastgeber, zu begrüßen und steuert geradewegs auf ihn zu. Er ist ein guter Kumpel von damals, mit dem er gleich lässig einschlagen wird. Doch dann bemerkt er, dass dessen Frau Sonja, die er bislang nur von Fotos kennt, direkt hinter Andi steht. Scheiße, und jetzt? Innerhalb von Sekunden muss sich Kalle entscheiden, wie er darauf reagiert. Wie macht man das noch? Während Andi bereits freudig zum Einschlagen ausholt, geht Kalle unsicher lächelnd an ihm vorbei und nimmt Sonja in den Arm. Das fühlt sich dann doppelt unangebracht an. Erstens ist es doch gar nicht mehr zeitgemäß, die Dame auf jeden Fall zuerst begrüßen zu müssen, oder? Wie unnötig, den eigenen Kumpel da so mit ausgestrecktem Arm stehenzulassen. Zweitens gibt ihm Sonja mit einem irritierten Blick das Gefühl, dass es gar nicht mal so selbstverständlich ist, einen Menschen zu umarmen, den man zuvor noch nie gesehen hat. Normales Handgeben wäre hier vielleicht noch die beste Lösung, denn „Küsschen links – Küsschen rechts“ ist auch nicht Kalles Ding. Als seine Hand dann endlich mit einem lauten Knall in die von Andi fliegt und die beiden sich in einer fließenden Bewegung männlich-kraftvoll in den Arm nehmen wollen, kommt es fast zu einer Kopfnuss, weil beide dieselbe Richtung anvisieren. Missverständnisse ohne Ende.

Im weiteren Verlauf des Abends muss Kalle zur Toilette. Anschließend öffnet er die Tür zum Flur wieder und sieht dort einen Typen, der innerhalb der letzten drei Minuten angekommen sein muss. Freundlich hält er Kalle die Hand hin und nennt seinen Namen. Wieder weiß Kalle nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Seine Hände sind noch feucht vom Händewaschen, aber wieder bleibt ihm nicht viel Zeit zum Überlegen. Er gibt dem Mann die Hand und sagt etwas, das ihm hinterher total idiotisch vorkommt: „Kalle, Moin. Ist nur Wasser.“ Was? Ist nur Wasser? Natürlich ist das nur Wasser, was soll das sonst sein? Urin? Weil man sich gerade angepinkelt und es dann nicht abgewaschen hat? Genau.

Kalle geht in die Küche und denkt darüber nach, dass es gleichermaßen merkwürdig ist, jemanden per Handschlag zu begrüßen, der sich gerade ausgiebig die Nase geputzt hat. Ach, schwierig alles. Er mixt sich einen Gin-Tonic und macht sich auf den Rückweg ins Wohnzimmer. Diesmal kommt ihm eine Frau entgegen, die entweder auch gerade angekommen ist oder die er zuvor nicht wahrgenommen hat. Sie trägt ein großes Geburtstagsgeschenk vor der Brust und ist wohl in einem Berufsfeld zu Hause, in dem es fast verpflichtend zu sein scheint, sich die Hand zu geben. Nachdem sie mit Mimik und Gestik deutlich gemacht hat, dass ihr das ja offensichtlich nicht möglich ist, spreizt sie einen ihrer Arme ab und sagt: „Ich geb‘ Dir mal den Ellenbogen.“ Äh, was? Alles klar danke, denkt sich Kalle, und steht für die folgende Sekunde im Flur einer fremden Wohnung – in der linken Hand ein Glas Gin-Tonic, in der rechten Hand den nackten Ellenbogen einer fremden Frau, der auch mal wieder etwas Creme verdient hätte. Schön. Immerhin nicht der kleine Finger. Das ist nämlich auch so’n Phänomen. Da nimmt man plötzlich einen kleinen, fremden Finger in die Hand und macht am besten noch ne Schüttelbewegung… Mal ehrlich – spätestens, wenn keine Hände mehr zur Verfügung stehen, spricht doch eigentlich nichts gegen ein stinknormales Hallo oder?

Aber was gibt es nicht noch alles für Schwierigkeiten bei der Begrüßung. Vom Handshake-Fail bis zur Begrüßung ohne Augenkontakt. Wahnsinn, was hier alles verkompliziert werden kann. Irgendwann ist Kalle sich zum Glück sicher, wirklich jeden Gast gesehen oder begrüßt zu haben. Entspannung kehrt ein. Erst als er sich Stunden später seine Jacke überwirft, um sich anschließend zu verabschieden, merkt er, dass das Spiel von vorn beginnt.

 

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